Tupletmachine Trio

Inhalt:

Die jüngste Formation meines Tupletmachine Ensembles ist ein Neue Musik Trio. Anfang Februar hatten wir unsere Bühnenpremiere bei dem markant-experimentellen Festival der Jazzoffensive Essen. In der Besetzung Johannes Winkler (Tupletmachine, Komposition), Anushaant N. Wijayan (Mridangam, Konnakol) und Matthias Akeo Nowak (Kontrabass, Cantus Firmus) spielten wir auf Basis einer grafischen Notation ein Set aus sechs Szenen:

Hölzerne Puls- und Reibegeräusche treffen auf Messiaen-Klaviercluster, Moog Tritonus-Bordune auf stochastische Rhythmus-Eventfilter, ein tonaler Cantus Firmus auf Silbenfetzen-Soundscapes und drummaschinelle 256tel auf karnatisch-muskulöse 128tel. Um ästhetisch nicht in einem Fusion-Sumpf zu landen, halten wir rechtzeitig inne, bevor es zu einer unbeabsichtigten „Aneignung musikkultureller Stilmittel“ kommen kann. Kompositorische Parameter werden dann so justiert, dass sich auf Mikro- und Makroebene Überraschungen ausdrücken können.

Dadurch spiegelt sich die Situation einer gemeinsam durchlebten Gegenwart – auch im Hinblick auf das vergleichsweise junge Ruhrgebiet-Narrativ unseres deutsch-tamilischen Netzwerk Konnakol. Während dieses seit 2018 eine Plattform für karnatisch inspirierte Rhythmusdidaktik darstellt und die damit einhergehenden interkulturpolitischen Herausforderungen meistert, versteht sich das daraus gewachsene Tupletmachine Projekt als ein hyperkultureller ästhetischer Raum, in dem algoRhythmisch radikal experimentiert wird.

Bhagwati und Messiaen

Als konzeptuelles Framework helfen mir hier Ideen von Sandeep Bhagwati (*1963, Mumbai, Neue Musik Komponist und Forschungsprofessor für interkulturelle Kunst), der in seinem Vortrag „Making Music glocally: Ästhetiken, Theorien, Werke und Praktiken post-exotistischer Polytraditionalität“ am ZKM Karlsruhe wesentliche Herausforderungen einer transkulturellen Kunstmusik präsentiert.

Auf musikstruktureller Ebene inspiriert zudem nach wie vor: good old Olivier Messiaen. In den 1940ern durch die Lektüre von Maurice Emmanuels Werk Histoire de la langue musicale (1911) mit südindisch-karnatischer Rhythmik in Berührung gekommen, hat er mit seiner mathematisch-mystischen Zahlenfaszination abstrakte Prinzipien von Tala-Systemen subkutan in sein Schaffen einfließen lassen.

Während Messiaen damals auf wenige Schriften angewiesen war, erleben wir heute auf Social Media einen regelrechten Konnakol Boom: die karnatische Rhythmussprache ist in aller Munde (und in noch mehr Smartphone-Händen) und fungiert als „Zähl-Tool“ zum Erlernen komplexer Rhythmen. Musik an sich wird dadurch aber noch nicht besser oder frischer – im Einzelfall jedoch zugänglicher und strukturell offener. Alle drei Akteure des ‚Tupletmachine Trios‘ haben sich intensiv mit Konnakol beschäftigt: Anushaant schon seitdem sein Trommelfell schwingt (das in seinem Ohr), Johannes durch intensive Lektüre und Matthias durch seine Fortbildung bei Rafael Reina (Konservatorium Amsterdam).

Dynamiken des Verschwindens

Dennoch wurde in unserem ersten Set vergleichsweise wenig Konnakol gesprochen, denn wenn die Silben erst einmal verinnerlicht sind, entwickeln sie als neuronale Repräsentationen von multisensorischen Zeit-Relationen ein Eigenleben. Auch die ‚Tupletmachine‘ als Maschine hat ein solches: Ein virtueller karnatischer Ensemble-Klang, Synthesizer und AM-modulierte Soundscapes werden einerseits durch Winklers inkorporierte, stumme Konnakol-Silben live getriggert, andererseits wechseln sich hier parallel laufende algoRhythmische Prozesse ab. Diese verwenden auch karnatische Rhythmus-Modulationen, klingen durch stochastische Prinzipien aber nicht mehr als solche. In Bezug auf Mridangam und Kontrabass agiert die Maschine gleichermaßen als Impulsgeber und Impulsnehmer.

‚Tupletmachine‘ beschäftigt sich also mit Dynamiken des Verschwindens – nicht im Sinne von Auflösung oder Verflüssigung, sondern mit Hinblick auf Integration in ein anderes Medium, wo die einzelnen Facetten durch sinnlich-geistige Arbeit umgewichtet werden (sagen wir ruhig mal: latent space), und so die Basis für einen neuen Ausdruck schaffen. Das betrifft auch die Elektronik der ‚Tupletmachine‘: Angesichts der heutigen Möglichkeiten, mittels KI Musik jeder Art erzeugen zu lassen, offenbart sich die Notwendigkeit einer Haltung, welche die Maschine bricht, und als entmachtetes Instrument wiederentdeckt:

Die Maschine brechen

Michael Edwards (Professor für Elektronische Komposition, Folkwang UdK Essen) schreibt in seinem neuen Blog-Artikel Learning to Forget the Past; Yearning to Forget the Future:

“ […] Aber warum ist das alles wichtig? Um die Illusion zu brechen; um die Maschine und die Machenschaften zu enthüllen; um die Maschine zu brechen; um den Glauben an die Maschine zu brechen; um das menschliche Element (wenn nicht allzu pathetisch jetzt) und den menschlichen Geist wieder einzuführen; und letztlich um eine positive Metaerzählung, oder noch besser, einen kritischen Kommentar zu schaffen. […] Ja, wir müssen rigoros die notwendigen Ansätze lernen und lehren, um die tiefsten Einsichten zu gewinnen und die meisten Vorteile aus den Techniken der elektronischen Musik zu ziehen, aber diese sollten für die Komponistin so selbstverständlich werden, dass der Griff zu diesen Werkzeugen, zumindest was die technischen Hürden angeht, kaum anders ist als die Entscheidung, für das Klavier statt für die Oboe zu schreiben.“

Tradition. Adaption. Innovation.

Wie geht es nun weiter? Nachdem die Förderung für mein groß angelegtes Stück Tetralemmatic Pulses für das volle ‚Tupletmachine Ensemble‘ letztlich doch ausblieb, werde ich mich in den kommenden Monaten verstärkt auf das Komponieren für das Trio konzentrieren: Neben weiteren Konzerten ist zum Jahresende eine CD-Produktion geplant. ‚Tupletmachine‘ macht weiterhin Neue Musik – und verortet sich aufgrund unserer jeweiligen musikalischen Linien begrifflich weiterhin als Electrokarnatischer Freejazz.

Im Rahmen unseres Netzwerk Konnakol haben wir drei zudem noch einige spannende didaktische Projekte dieses Jahr vor uns – unter anderem an der Musikhochschule Mannheim und der Folkwang Universität der Künste, Essen. Die Ergebnisse der Netzwerk-Aktivitäten sammle ich derzeit in einer (Selbst-) Reflexion:


Stay tuned:

www.tupletmachine.de
www.konnakol.de