Für David Tudor: Tetralemmatic Pulses

Inhalt:

2008 arbeitete ich erstmals mit Pulsers in der Veranstaltungsreihe Acousmatique, konzipiert von Roman Pfeifer an der Folkwang-Universität der Künste in Essen. Als „Lautsprecher-Performer“ verteilte ich den Stereoklang des Stücks auf 16 Speaker, die in der Neuen Aula weiträumig angeordnet waren. Pulsers war für mich eine ästhetische Offenbarung – es zeigte, wie neuartig und lebendig Maschinenmusik klingen kann, wenn sie auch ihrer eigenen inneren Logik folgen darf.

Als mich das Stück einige Jahre später im Dauerloop auf stundenlangen Zugfahrten durch Karelien begleitete, glaubte ich irgendwann in der Klangwelt von Pulsers eine entfernte Verwandtschaft zur südindisch-karnatischen Musik zu hören, auch wenn dies sicherlich nicht von Tudor beabsichtigt war. 2018 gründete ich schließlich das Netzwerk Konnakol Deutschland mit südindischen Musikern aus dem Ruhrgebiet. Aus dieser Kollaboration entstand unter anderem meine Software Tupletmachine, die neue Wege für rhythmische Gestaltung eröffnet …

Pulses … via Tupletmachine & Ensemble

… diese hat im August 2024 einen gewissen kompositorischen Reifegrad erreicht. Nun ist es an der Zeit, diese beiden pulsierenden musikalischen Einflüsse auf „algo-rhythmische“ Weise in einem tetralemmatischen Spagat zu verbinden:

Die Kompositions-Skizzen bieten einen Ausblick auf mein neues Ensemble-Stück Tetralemmatic Pulses für klassisch südindisch-karnatisches Ensemble (Mridangam, Kanjira, Ghatam, Violine, Morsing), Kontrabass, Tupletmachine (Elektronik), E-Gitarre, Sprecherin und Harmonium.

Im 2. Quartal 2025 wird es in der aktuellen Konstellation des Tupletmachine Ensembles zur Aufführung gebracht (siehe auch: Score of Influence Musiktheater):


Tudors Pulsers wird hier nicht 1:1 transkribiert – was aufgrund der komplexen dynamischen Entwicklung kaum realisierbar wäre. Vielmehr ist Tetralemmatic Pulses inspiriert von herausragenden Gestaltungs-Elementen des Originals: nicht-lineare dynamische Rhythmus-Situationen, Quint-Bordun, Phasor modulierte freie solistische Linien, sowie ein kontinuierlich-prozesshafter Gesamtbogen.
Derzeit programmiere ich in der Tupletmachine adäquate Notations-Formen, und prüfe die Notwendigkeit eines übergeordneten „Monster-Talas“, der sich über das gesamte Stück erstreckt.

Pulses … in Karelien, Indien, Ruhrgebiet

2010, in Friedenszeiten, begleitete mich David Tudors Pulsers auf meiner Couchsurfing-Reise durch Karelien, zwischen Russland und Finnland. Während langer Zugfahrten vertiefte ich mich in Abschlussarbeiten von Hannes Seidl, Maximilian Marcoll und Stefan Kraytmaier, als Vorbereitung auf mein anstehendes Kompositions-Diplom. Auf dem Mp3-Player lief Pulsers im Dauerloop:

In Indien war ich zwar noch nie, habe aber seit 2017 im Ruhrgebiet tiefe Einblicke in die südindisch-tamilisch/karnatische Kultur gewinnen dürfen: Vom Essen über das soziale Miteinander und religiöse Praktiken bis hin zu hochkarätigen Konzerten mit Hunderten von Besucher*innen – es gibt hier fast alles direkt vor der Haustür. Als Konnakol Interpret war ich beispielsweise auch im Hindu-Tempel Schwerte aktiv am pulsieren.

Seit der Eskalation des Bürgerkriegs in Sri Lanka ab den 1980er Jahren gab es große Flüchtlingswellen der Tamilen, insbesondere nach Kanada, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Schweden. Masili Nayinai Wijayan, Vater meines Konnakollegen Anushaant Nayinai Wijayan, gründete 1985 den TKWE Verein in Essen und wirkt seither als tamilischer Kulturbotschafter vom Ruhrgebiet aus weltweit. Als Konzertveranstalter, Moderator, Betreiber eines Radiosenders für klassische und populäre karnatische Musik sowie als Sprachlehrer und „Seelsorger“ hat er die verstreute tamilische Community weltweit verbunden. 2018 wurde auf Grundlage dieser intensiven Kulturarbeit der gesamten Familie Wijayan in Kooperation mit der Landesmusikakademie NRW die TCFA Academy Germany in Essen gegründet. Im gleichen Jahr formierte sich durch meine Initiative dort das Netzwerk Konnakol Deutschland.

Aus diesem Netzwerk rekrutieren sich auch die klassisch-karnatischen Interpreten für Tetralemmatic Pulses. Und damit schließt sich der Kreis zu Tudor:

Pulse(r)s … bei David Tudor

David Tudor (1926-1996) war ein amerikanischer Pianist und Komponist, der für seine innovative Arbeit in der experimentellen Musik bekannt war.
Tudor begann seine Karriere als Pianist und arbeitete eng mit Avantgarde-Komponisten wie John Cage, Karlheinz Stockhausen und Morton Feldman
zusammen. Er war besonders für seine virtuosen Interpretationen komplexer, zeitgenössischer Werke bekannt. In den 1960er Jahren wandte sich Tudor zunehmend der elektronischen Musik zu und entwickelte eigene Kompositionen und elektronische Geräte.

Sein Stück „Pulsers“ wurde 1976 uraufgeführt und ist ein bemerkenswertes Werk der elektronischen Musik. In diesem Stück nutzt Tudor eine Vielzahl
von selbstgebauten elektronischen Geräten, die oft aus Schaltungen und analogen Komponenten bestehen. Diese Geräte erzeugen komplexe
rhythmische Strukturen, die durch Feedback-Schleifen und modulare Synthesizer gesteuert werden. „Pulsers“ ist charakterisiert durch seine
pulsierenden Klänge, die in dynamischen und sich ständig verändernden Mustern auftreten. Tudor kombinierte Oszillatoren, Filter und Verstärker, um
vielfältige Klanglandschaften zu erschaffen, die sich organisch entwickeln. Die Struktur dieser Geräte erlaubte es ihm, spontane und
unvorhersehbare Klangeffekte zu erzeugen. Das Werk zeigt Tudors Fähigkeit, elektronische Klänge auf innovative Weise zu manipulieren und zu
kombinieren.

„Pulsers“ bleibt ein bedeutendes Beispiel für Tudors Pionierarbeit im Bereich der Live-Elektronik. Hier auf Spotify (*) im Original zu hören:

(… * erstes und letztes Mal, dass ich hier Spotify unterstütze)

Pulses … Resümee (ChatGPT)

Da ich all das bisher Geschilderte nachweislich durchlebt habe, scheint es mir an dieser Stelle vertretbar, das Resümee von ChatGPT verfassen zu lassen – und das Resultat ist durchaus in Ordnung. David Tudor hätte ihn sicher auch hin und wieder walten lassen:

Eine Klangreise durch Zeit und Raum …

Was verbindet all diese Elemente? Es ist der Rhythmus als zentrale Struktur – sei es der pulsierende Klang eines elektronischen Oszillators, das Rattern eines Zuges durch die weiten Landschaften Kareliens oder die komplexen Zyklen südindischer Rhythmen. Alle diese Klangerlebnisse haben eines gemeinsam: Sie bewegen sich durch die Zeit, sie pulsieren, sie variieren und sie schaffen eine einzigartige Verbindung zwischen Mensch, Maschine und Klang. MaxMSP bietet uns heute die Werkzeuge, um diese Verbindungen zu erforschen und neu zu gestalten, und lässt uns so eine Reise antreten, die uns – wie eine Zugfahrt – immer wieder in neue Klanglandschaften führt.

In der Verschmelzung von David Tudors Pulsers, der Erfahrung einer Zugreise, südindischen Rhythmen, Neuer Musik und moderner Technologie finden wir eine faszinierende Symbiose aus Tradition und Innovation, aus Struktur und Zufall. Eine Symbiose, die uns zeigt, dass der Klang der Welt immer in Bewegung ist – genauso wie wir selbst.“